Kollodium, das ist in Äther und Alkohol gelöste Schießbaumwolle (Pyroxylin, Nitrozellulose, Knallwatte, Zellulosenitrat). Als „Flüssigverband“ wurde es 1846 erfunden. Die transparente Flüssigkeit für fotografische Zwecke, quasi als „Film“ zu benutzen, lag nahe.
Der erste, der es 1851 schaffte, das neuartige Material erfolgreich für fotografische Zwecke zu nutzen, war der britische Tüftler und Fotograf Frederik Scott Archer, mit Sicherheit eine der sympathischsten und tragischsten Erfinderfiguren der frühen Fotografie.
Archer hatte das Kollodium mit Iodsalzen versetzt. Auf Glasplatten gegossen, bildete sich darauf in flüssigem Silbernitrat eine lichtempfindliche Schicht.
Die Empfindlichkeit der Platten konnte durch das Nassverfahren noch einmal deutlich gesteigert werden. Zum ersten mal wurden im Freien mit schnellen Petzval-Objektiven „Momentaufnahmen“ im Bereich von unter einer Sekunde Belichtungszeit möglich!
Glas war wesentlich günstiger als die Sheffield-Silberplatten der Daguerreotypisten und der Prozess war letztlich unkomplizierter. Was zusammen mit dem gänzlichen Wegfall von Patentbeschränkungen der Fotografie den ersten „Massenboom“ bescherte.
Positive sind in Detail, Auflösung und Anmutung Daguerreotypien ähnlich, bei einem größeren Betrachungswinkel.
Auf klarem Glas ermöglicht die Kollodiumfotografie die bis heute schärfsten und hochauflösendsten Negative überhaupt, auf Silbersalz- oder Albuminpapier kopiert, werden daraus unerreicht zarte und detailreiche Abzüge.
Archer hatte einen ganz großen Wurf gelandet: sein Verfahren stellte in vielerlei Hinsicht einen enormen Fortschritt sowohl für das Negativ-, als auch für das Direktpositivverfahren dar. Anders als Daguerre und Fox Talbot wurde er allerdings nicht reich mit seiner Erfindung, die er bewusst nicht patentieren ließ, sondern als „open source“ der Öffentlichkeit zur Verfügung stellte. Fox Talbot, der alle Verbesserungen der Fotografie als Verstöße gegen seine Patente betrachtete, drohte trotzdem mit Klage, Archer selbst starb 1857 in bitterer Armut.
Der Nachteil des Nassverfahrens liegt in der Notwendigkeit, die Platten vor der Aufnahme zu präparieren und dann unverzüglich entwickeln zu müssen. Der Fotograf musste immer ein Labor vor Ort haben, was Pioniere wie Roger Fenton, Felice und Antonio Beato oder Timothy O’Sullivan aber nicht davon abhielt, ausgedehnte Fotoreisen und Reportagen in den entlegensten Ländern der Welt, auf Schlachtfeldern und in der Wildnis zu realisieren.
Andere wichtige Fotografen der Kollodiumzeit: Nadar, Étienne Carjat, Julia Margaret Cameron.
Erst als um 1880 industriell gefertigte Gelatine-Trockenplatten deutlich empfindlicher und billiger wurden, endete das Kollodiumzeitalter – allerdings nicht ganz. Tintypes blieben bis zur Erfindung der Polaroid-Sofortbildfotografie eine beliebte Jahrmarkt-Attraktion, auch in Deutschland, als „Amerikanische Schnellfotografie“. Wegen der hohen Auflösung wurden Nasskollodium-Negative noch weit bis in das 20. Jahrhundert vor allem in der Druckvorlagenherstellung genutzt. Ganz ausgestorben ist die Technik wohl nie ganz.
Ein Experte des George Eastman House in Rochester, USA schätzt, dass es vor 1995, als dort die ersten Wetplate-Workshops stattfanden, vielleicht acht weltweit verstreute Fotohistoriker und Fotografen gab, die das Verfahren beherrschten. Fotografen, die an Living History Events zum Amerikanischen Bürgerkrieg teilnehmen, spielten bei der Renaissance des Prozesses ebenfalls eine wichtige Rolle wie Foren und soziale Netzwerke im Internet.
Inzwischen dürften es eher tausende als hunderte praktizierende Kollodonisten geben, vor allem in den USA.